Meine Überlegungen zur aktuellen Situation und zum Palmsonntag möchte ich verbinden mit zwei Erfahrungen, die ich kürzlich bei meinem Urlaub in Australien gemacht habe.
Da ist zunächst der Mann, der uns an der Rezeption einer Ferienanlage empfangen hat, mit der Bemerkung „I am very busy“ („Ich bin sehr beschäftigt“). Doch der Ansturm auf die Ferienanlage hielt sich in Grenzen. Und der Mann an der Rezeption wirkte bei aller Geschäftigkeit sehr entspannt – er nahm sich viel Zeit, um uns alles rund um den Aufenthalt zu erklären.
Wir sind derzeit in der Corona-Krise auch in dieser neuen Art und Weise „very busy“. Unsere Geschäftigkeit, die uns vor der Krise geprägt hat, wurde jäh unterbrochen. Und so wurden wir in einen Zustand versetzt, den die Fastenzeit eigentlich für uns möchte: den gewohnten Alltag unterbrechen. Das kann sehr bitter sein; viele arbeiten derzeit an der Grenze ihrer Kraft, viele haben Angst um ihr Leben, um ihre Existenz. Wir alle müssen neue, oft anstrengende Wege finden und die meisten zu Hause bleiben im Sinne von Karl Valentin („Heute mach ich mir eine Freude und besuche mich selbst … Hoffentlich bin ich daheim“). Ich wünsche uns allen, dass wir in diesem Ausnahmezustand auch besondere Erfahrungen machen können:
- Einüben von Rücksichtnahme und Toleranz (beides notwendig, wenn man länger zu Hause gemeinsam viel Zeit verbringt).
- Es braucht aber auch Rückzugsräume: Das Alleinsein kann mich zum Nachdenken anregen; kann mir dabei helfen, die Prioritäten in meinem Leben neu zu überdenken.
- Vielleicht höre ich in der neu gewonnen Ruhe und Stille auch die Stimme Gottes deutlicher und auf eine ganz neue Weise.
Doch nun zu einer zweiten Erfahrung, die für mich ganz viel mit dem Palmsonntag zu tun hat. Bei der Heimreise aus Australien war der Aufenthalt im Terminal des Flughafens von Zürich ein krasser Gegensatz zur Geschäftigkeit, Freundlichkeit und Lebensfreude, die die Menschen in Australien ausgestrahlt hatten: Da waren menschenleere Gänge, geschlossene Geschäfte (einen Kaffee zu bekommen war bereits eine große Herausforderung), alle paar Minuten eine Durchsage mit Verhaltensregeln („Abstand halten!“), patrouillierende Polizisten.
Das beschreibt für mich sehr gut den Übergang, den der Palmsonntag markiert: Da ist zunächst der Einzug Jesu in Jerusalem. Die Stimmung ist gut, ja euphorisch. Jesus wird mit dem Ruf „Hosianna“ umjubelt – man wedelt dazu mit den Palmbuschen und legt sie vor Jesus zu Füßen. Und dann hören wir am Palmsonntag die Leidensgeschichte Jesu: Die Stimmung kippt. Es wird immer einsamer um Jesus. Hass schlägt ihm nun entgegen. Er wird verspottet, gequält und schließlich hingerichtet. Unter diesem Eindruck steht die Karwoche.
Doch die Karwoche hält noch eine zweite Wende für uns bereit: den Übergang vom Karfreitag auf Ostern hin!
Diesen Übergang wünsche ich uns auch in der derzeitigen Krise: Ein Psychologe machte kürzlich darauf aufmerksam, dass nach der überstandenen Pandemie sich eine neue, tiefere Lebensfreude breit machen werde – dass wir Dinge, die bisher selbstverständlich waren, wieder neu schätzen und intensiver erleben: z.B. einen Besuch im Kino oder den Gang mit Freunden zur Eisdiele oder die gemeinsame Feier der Gottesdienste in der Pfarrgemeinde!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen im Namen aller Seelsorger im Pfarrverband eine intensive, gesegnete Karwoche!
Ihr Pfarrer
Guido Seidenberger
Evangelium: Mt 21,1–11
1. Lesung: Jes 50,4–7
2. Lesung: Phil 2,6–11
Passion: Mt 26,14–27,75
[An dieser Stelle befanden sich ursprünglich die Biteltexte aus der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift (2016). Die Rechte daran hält die Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart, die die Wiedergabe für derartige Zwecke befristet genehmigt hatte. Wir haben die Texte, ebenso wie die Hausgottesdienstvorlagen, die diese Passagen ebenfalls enthalten, mittlerweile wieder gelöscht, weil das Risiko einer Urheberrechtsverletzung jetzt zu groß ist. (red)]
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