Als erster „Wiederholungstäter“ kam Pfarrer Andreas Maria Zach aus Rosenheim am 18. Oktober zur 23. Auflage der „Reden über Gott und die Welt“ nach Prutting. Im Juli 2015 hatte er im Pfarrheim Schwabering schon einmal über Naturwissenschaften und Religion gesprochen, diesmal ging es um die Frage „Ist weltliche Ethik wichtiger als Religion?“.
Kurt Kantner, der die erfolgreiche Vortragsreihe mit Unterstützung des Bildungswerks Rosenheim in unserem Pfarrverband weiterhin betreut, obwohl er mittlerweile in den Pfarrgemeinderat Heilig Blut abgewandert ist, benannte in seinen einleitenden Worten als thematischen Anknüpfungspunkt den „Appell“, den der Dalai Lama Tenzin Gyatso unter dem Titel „Ethik ist wichtiger als Religion“ publiziert hat. Zach, der ohnehin schwer zu halten ist, legte dann gleich mit einer fragenden Definition von Ethik los. Vorausschicken muss ich, dass er den gesamten Vortrag im stetigen Gesprächswechsel mit dem zahlreichen Publikum führte, sodass auch der anschließend geplante Fragenteil praktisch beantwortet war, als nach weit über zwei Stunden Kurt Kantner die Schlussglocke läutete. Hier auch gleich die Antwort auf die Eingangsfrage: Natürlich nicht. Ethik kann nicht „wichtiger“ sein. Ihre Normen und Werte hat sie nicht aus sich selbst, sondern von außerhalb und am besten von Gott. Dies die Kurzfassung für Ungeduldige. Hier die Langfassung:
Im konsensfähigen Verständnis zeigt sich Ethik als Lehre vom Sollen bzw. in Zachs Worten: „Du könntest auch anders sein oder dich zumindest so benehmen.“ Religion wiederum wird am besten als die „gelebte Beziehung zwischen Mensch und Gott“ verstanden. Es ist also kaum verwunderlich, dass von den frühesten Gesetzgebern her Religion und Moral eine Einheit bildeten, wobei der göttliche Wille die Grundlage und Legitimation der kodifizierten Soll-Setzungen bildete, ob im babylonischen Codex Hammurapi, im Bundesbuch des Alten Testaments, im römischen oder im islamischen Recht. Eine erste historische Bruchstelle dieses Begründungszusammenhangs ist die Aufklärung, die nach einer ethischen Neudefinition aus dem Verhältnis des Menschen zum Menschen sucht. Hier hat die Bill of Rights der USA ebenso ihren Platz wie die Französische Revolution und der Code civile sowie natürlich Immanuel Kant mit seinem berühmten Kategorischen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Das war ein Galopp durch die Zeiten, aber er war vor allem deswegen erhellend, weil er zeigte, dass eine Grundannahme der Dalai-Lama-Argumentation dazu in glattem Widerspruch steht: Sie setzt als „Wissen“, „dass Ethik, Mitgefühl und soziales Verhalten uns angeboren sind, aber Religion uns anerzogen ist.“ Das ist ungefähr die Stelle, an der Zach ausrief: „Genau das ist nicht angeboren, Herr Dalai Lama!“
Man könnte die These von der angeborenen Ethik an unterschiedliche Prüfsteine halten, die Augen aufmachen und etwa fragen, ob der Mensch in seiner Weltlichkeit überhaupt gut sei. Schließlich wächst jeder Mensch in ein vorhandenes Wertesystem hinein und ist den übernommenen Begriffen von Gut und Böse „ausgeliefert“, sodass eher zu sagen wäre, Ethik sei anerzogen. Zu fragen wäre rundheraus, ob nicht vielmehr das Bedürfnis nach Religion „zutiefst im Menschen angelegt“ (Zach) sei. Die eifrige Diskussion führte von hier aus zu etlichen Nebenschauplätzen, u.a. direkt nach Tibet und zurück zur Erbsünde – das alles sei an dieser Stelle unterschlagen. Angemerkt sei nur, dass zum Thema Mann und Frau (Zach: „Ich bin da nur Kriegsbeobachter“) bzw. Frauen und Kirche dem allgemeinen Priestertum großes Gewicht zukommen sollte.
Zentral für den Fortgang der Überlegung ist die Beobachtung Eugen Drewermanns: Dass der Mensch etwas Gutes ist, muss ihm gesagt werden. Es ist die Offenbarung, aus der der Mensch das Vertrauen in den Schöpfer und das Vertrauen in den Menschen bezieht. Interessant war hier, wie Zach noch die oft als martialisch empfundenen Leviticus-Regeln („Auge um Auge“ etc.) als „Reparaturinstrumente“ deutete und auf die Grundsätze von Kompensation und Verhältnismäßigkeit zurückführte. In der Fortsetzung des geschichtlichen Abrisses zeigte er außerdem, dass immer dann, wenn ein Staatswesen die „Verantwortung vor Gott“ ausblendet, eine Ethik ohne Grund sich nicht lange halten kann. Dabei hätte die christliche Ethik durch Jesus Christus eine denkbar klare, einfache Grundlage in Mk 12,30–31:
„Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“
Der Diaprojektor warf dies mit der letzten Folie als einprägsames Dreiecksverhältnis der Liebe zwischen Gott, Ich und Du an die Wand des Pruttinger Pfarrheims. Die abschließenden Wortbeiträge zeigten, dass sich darin viele wiedererkannten, etwa wenn man Gott „nicht verstehen, aber spüren“ (Doris Heinl) könne. Wie außerordentlich anregend dieser Abend war, zeigt auch der Umstand, dass etliche aus der Runde noch eine ganze Weile im Pfarrheim beieinandersaßen – Kurt Kantner hatte geistesgegenwärtig einen Getränkekasten mitgebracht – und miteinander sprachen. Worüber? Über uns, die Gemeinden und die Kirche, über „Gott und Welt“ halt.
Florian Eichberger
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