„Wenn die Winde des Wandels wehen, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen,“ sagt ein chinesisches Sprichwort. In diesem Sinn appellierte Prof. Dr. Peter Graf am 22. Januar zum Abschluss seines Islam-Vortrags im Pfarrheim Prutting eindringlich an seine über 70 Zuhörer, die kulturell-religiöse Vielfalt als Chance zu begreifen. Denn dass Christentum und Islam Religionen in Deutschland sind, ist längst Tatsache.
Weltweit ist der Islam nach dem Christentum die zweite große Religionsgemeinschaft, ebenso in der Europäischen Union, wo die meisten Muslime in Frankreich leben, und in Deutschland. Das Verhältnis von islamischem Orient und dem neuerdings wieder groß auf den Straßen spazieren geführten „Abendland“ ist jedoch auf so vielen Ebenen schwierig und belastet, dass keine einfachen Antworten zu erwarten sind. Wie ein – im Grundgesetz garantierter – islamischer Religionsunterricht zu organisieren ist (Bayern kann das als einziges Bundesland noch nicht), warum religiös aufgeladene Kriege über die Jahrhunderte hinweg besonders abscheulich grausam geführt werden (wie zurzeit in Syrien) und ob sich westliche Karikaturisten daran halten müssen, dass der Islam keine Propheten abgebildet sehen mag – solche Fragen haben Schnittmengen, liegen aber praktisch weit auseinander. Dennoch beschäftigten sie das Publikum, das sich im Anschluss rege mit Wortbeiträgen meldete. Auch Pfarrvikar Konrad Roider trug Wissenswertes zum Ethik- und Religionsunterricht in der Grundschule bei.
Der Islam im Westen verdankt seine Existenz nicht etwa einer besonderen Einwanderungslust, sondern der gezielten Anwerbepolitik der Nachkriegszeit. Wenn zuerst von „Gastarbeitern“ gesprochen wurde, so behauptete die Wortwahl durchaus verlogen, dass der Hausherr seine „Gäste“ jederzeit wieder hinauskomplimentieren könne. Die heutige Sprachregelung „Migranten“ sei in diesem Punkt keineswegs besser. Türken in Deutschland befinden sich nicht „auf Wanderschaft“, sie sind längst angekommen. Dass Christian Wulff 2010 konstatierte „Der Islam gehört auch zu Deutschland“ rechnet Prof. Graf dem ehemaligen Bundespräsidenten daher hoch an. Auch zum Begriff „Abendland“ zeichnete Graf eine Linie, die von Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“ (1918/1922) über den Nationalsozialismus bis zu den Pegida-Kundgebungen reicht und nichts Gutes erwarten lässt. Erschwerend kommt für Muslime hinzu, dass der Westen betont säkular verhandelt – zum öffentlichen Grundkonsens Europas gehört, dass Religion als gesellschaftlich irrelevanter Privatkram gilt.
Notwendig wäre auf deutscher (und europäischer) Seite „Verantwortung für die Situation, die wir selbst geschaffen haben, in unserem eigenen Interesse“. Zugleich wäre die Etablierung europäischer islamischer Autoritäten ein wichtiges Ziel: Glaubensführer, die den Westen kennen, im Westen aufgewachsen sind, die Landessprache beherrschen und „nicht vom Stuhl fallen, wenn sie in den Fernseher schauen“. Bislang nämlich kommen die Geistlichen nahezu ausnahmslos aus dem nicht-europäischen Ausland. Ein großer Schritt in diese Richtung war die Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz, an der Prof. Graf maßgeblich beteiligt war.
Umgekehrt ist der Westen für den Islam eine Art Angstgegner. Nicht zu vergessen sei, dass der Westen seit nunmehr 14 Jahren an verschiedenen Schauplätzen (u.a. Afghanistan, Irak, Syrien) Krieg gegen den Islam führt und sich keineswegs auf Terrorbekämpfung beschränkt. Die daraus resultierende Verteidigungshaltung wird auch davon gestärkt, dass die islamischen Länder (bis auf wenige Erdöl-Ausnahmen) ökonomisch abgehängt sind und einen „Armengürtel“ bilden. Nicht zuletzt blickt der Islam selbst mit einem starken Minderwertigkeitsgefühl auf seine große politische, kulturelle und wissenschaftliche Vergangenheit. In dieser Konstellation punkten die Salafisten (Salaf = der Vorfahre), die sich dabei auf den Koran 22,39 berufen: „Den Gläubigen, die von den Ungläubigen angegriffen werden, ist es erlaubt zu kämpfen, weil ihnen Unrecht geschehen ist.“ Dazu Graf: „Wir geben den Salafisten dieses entscheidende Argument an die Hand.“
An dieser Stelle war es hilfreich, sich im Rahmen der Reihe „Reden über Gott und die Welt“ vor Augen zu halten, was Christentum und Islam als Welt- und als Buchreligionen eint. Gut ist es zu wissen, dass Allah kein Name ist, sondern auf Arabisch „der eine Gott“ heißt (anders als bei „Es gibt keinen Gott außer Allah“ ist es vom Glaubensbekenntnis „Es gibt keinen Gott außer dem einen Gott“ zu „Soli Deo gloria“ nicht mehr weit). Dass Koran und Bibel beide Abraham (Ibrāhīm) kennen, ebenso wie Moses (Mūsā) und Jesus (Isa ibn Maryam). Hier solle sich jede Religion auf das je eigene besinnen, so Graf, der dazu ein schönes Bild präsentierte: die klassischen Kreise der additiven Farbmischung. In der Schnittmenge ergeben sie reines, transzendentes Weiß – eine unwirkliche Farbe, die keine ist, die allein in der Wahrnehmung des einzelnen Menschen liegt. Der Schlüssel dazu liege in der individuellen religiösen Erfahrung. Anders, nämlich mit dem berühmten Satz Karl Rahners gesagt: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Pfarrer Guido Seidenberger beschloss den Abend mit dem Segen.
Florian Eichberger
Fotos: Elisabeth Thusbaß
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