Um es gleich mal vorwegzusagen: „Die Kirche ist im Grunde ein komischer Ort und eine komische Einrichtung!“
Man kommt zum Gottesdienst zusammen, das bedeutet: Der Pfarrer macht eine Messe und man sitzt halt dann so drin und kuckt zu, also ähnlich wie im Theater. Anders als im Theater drückt man sich dann auch in den hintersten Reihen herum, weil es vorne zu gefährlich ist.
Dann gibt es die Statisten – auch „Ministranten“ genannt – die irgendwie zu wissen scheinen, wann sie was zu tun haben. Und es gibt diese komischen „Übereifrigen“, die mitbeten und mitsingen und damit so tun, als wäre ihnen das alles wichtig, was da so passiert. Im Grunde reicht es völlig aus, wenn man einmal im Monat in diese Theatervorstellung in der Kirche geht. Vielleicht auch nur an Weihnachten oder vor der Kommunalwahl.
Weihrauch ist bäh, die Musik ist langweilig (es sei denn, der Jugendchor singt), das Essen ist trocken und fad, Unterhaltung verboten, der Pfarrer monoton und der Platz, auf dem ich sitze, ist kalt. Warum also tue ich mir das an? Und dann auch noch über 45 Minuten, also eine Fußballhalbzeit, die übrigens wesentlich amüsanter wäre.
Und dennoch muss an dieser Kirche etwas dran sein, sonst wäre keiner von euch hier! Die Kirche muss etwas haben, was die Menschen bewegt, sonst hätte sie nicht 2000 Jahre überlebt. Irgendetwas an der Kirche muss richtig sein, sonst gäbe es die „Übereifrigen“ nicht, die auch noch jeden Sonntag gehen. Aber was?
Ist es der olympische Gedanke: „Dabeisein ist alles“?
Ist es die Tatsache, dass ich am Sonntagvormittag nichts Besseres zu tun habe?
Ist es ein Überbleibsel aus der grausamen Kindheit, da ich von meinen Eltern zum sonntäglichen Gottesdienstbesuch gezwungen wurde?
Oder gibt mir dieser Besuch etwas? Lässt er mich hoffen, leben, nachdenken? Berührt mich hier etwas, das mich die eventuell ansonsten schwierigen Wochentage ertragen lässt?
Liebe Mitchristen,
der Traum der Volkskirche ist längst ausgeträumt. Heutzutage stellen wir Christen nur noch ein Drittel der Bevölkerung unseres Landes. Die aktiven Christen – also jene Übereifrigen – sind nicht mal mehr 10 % unserer Mitbürger. Machen wir uns also nichts vor: Wir sind eine Minderheit. „Gott sei Dank“, möchte ich sagen! Als Minderheit haben wir nämlich ein unglaubliches Potenzial.
Früher konntest du in der Masse der Gottesdienstbesucher untergehen. Ob Frühmesse, Hochamt, Frauenamt, Werktagsgottesdienst, Rosenkranz, Andacht, Bruderschaftsfeste, überall war Masse, war die ganze Gemeinde vertreten. Da ist der Einzelne kaum aufgefallen. Heute sind wir viel persönlicher. Man sieht auf einen Blick, wer da ist und wer nicht. Man kann sich nicht mehr verstecken. Man kennt einander. Heute betrifft Kirche jeden persönlich.
Als Minderheit befinden wir uns ganz auf der Linie Jesu. Warum? Weil Jesus die Menschen auch persönlich angesprochen hat. Er begab sich in das Land Sebulon und Naftali, Grenzland mit kaum jüdischen Anteilen. Und dort sprach er die Menschen an: Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes, den Zöllner Matthäus, den römischen Hauptmann. Das waren alles keine reinrassigen und strenggläubigen Juden. Das waren einfach Menschen. Im Land Sebulon und Naftali, im heidnischen Land der Ungläubigen beginnt er seinen Weg. Dort missioniert er, dort packt er die Menschen. Nicht in Jerusalem, nicht in Jericho und nicht in Nazareth, den jüdischen Metropolen. Jesus spricht die Menschen persönlich an und sagt: „Komm mit! Folge mir nach! Ich zeige dir das Himmelreich, es ist nahe, es ist da. Glaube doch!“
Im Grunde machen wir mit den Erstkommunionkindern und auch den Firmlingen nichts anderes. Wir sprechen sie persönlich an. Wir nehmen sie mit. Wir binden sie ein, in der Hoffnung, dass sie kommen und sehen und bleiben. In der Hoffnung, dass sie ein Teil der Gemeinde werden. Und letztendlich bleibt es eine Hoffnung. Wir zwingen sie nicht. Genau wie Jesus! Vielleicht kommst du nur einmal hierher und bleibst danach wieder zu Hause. Aber wenn du da bist, bist du wichtig! Wenn du da bist, dann betrifft es dich persönlich! Wenn du da bist, dann bist du gemeint, nicht die Masse, nicht die Menge. Du!
Persönlicher wird es nicht! Nirgendwo!
Immer wieder wurde in der Kirche diskutiert, wer der Wichtigste ist: der Pfarrer, die Gemeindereferentin, der Mesner, die Ministranten, der Chor oder gar der Bischof oder der Papst?
Alles Schwachsinn!
Wichtig ist jeder, der kommt. Es ist ein wenig der olympische Gedanke: „Dabeisein ist wichtig, dabeisein ist alles!“
Es ist wichtig, dass du heute da bist. Es ist wesentlich. Ohne dich ginge es nicht!
Was ist ein Pfarrer ohne Gemeinde? Ein studierter, einsamer Mensch!
Was ist ein Mesner ohne Gemeinde? Eine Reinigungskraft.
Was ist ein Ministrant ohne Gemeinde? Ein Statist.
Das hier, liebe Schwestern, liebe Brüder, ist nicht Theater. Es ist Leben! Und wer das nicht begreift, wen das nicht betrifft, wen das nicht beschäftigt, der hat in unserer Minderheit nichts verloren!
„Kehr um! Folge mir nach! Du bist gemeint, du persönlich, hier und jetzt, komm und sieh!“ Keine Ausreden, keine verborgenen Tricks. Nur du und Gott und die Menschen, die neben und vor und hinter dir genauso wichtig sind wie du, genauso gewollt.
Das ist wichtig. Das Himmelreich ist schon da! Jetzt! Und du bist ein Teil davon, wenn du willst. Das ist keine Botschaft für 45 Minuten. Das ist eine Botschaft für das ganze Leben.
Amen
Tobias Hartmann
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