Joh 20,19–31

Weißer Sonntag

Da ist die Skepsis gegenüber einer kräftezehrenden ärztlichen Behandlung bei geringer Aussicht auf Genesung. Da ist die Unsicherheit in einer Beziehung, die nicht mehr hält, was sie einst versprochen hat. Da ist der Zweifel an Gott, der sich oft tief verbirgt und sich viel zu wenig zeigt in den menschlichen Tragödien und Katastrophen.

* * *

Ja,

wir leben mit Unsicherheiten, Fragen und Bedenken. Der Zweifel gehört zum Leben. Auch im Evangelium begegnet er uns heute: Thomas als Musterexemplar des Zweiflers.

Er hat alles aufgegeben, um Jesus zu folgen. Als einer seiner Jünger muss er erleben, welch grausames Ende seine Hoffnungen am Kreuz nehmen. Und nun hört er, was seine Freunde und einiger Frauen aufgebracht berichten. Sie behaupten, Jesus lebe.

Was Thomas da zu Ohren kommt, sind keine medizinischen Nachweise oder hieb- und stichfesten Beweise. Es sind Erfahrungen, die seine Freunde gemacht haben, er aber nicht. Thomas war nicht dabei, als sich Jesus als der Auferstandene seinen Jüngern und Jüngerinnen zeigte. Er ist kein Augenzeuge der Auferstehung, genauso wenig, wie wir es sind.

Es ist also kein Wunder, dass Thomas die Auferstehung infrage stellt: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe, und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hände nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“, so reagiert er auf die Berichte seiner Freunde. Und damit ging er als der ungläubige Thomas in die Geschichte ein.

Mit seinen laut ausgesprochenen Zweifeln kann er uns allen ein Vorbild sein, ein Vorbild im Umgang mit Zweifeln. Er zieht sich nicht in ein stilles Kämmerlein zurück und erklärt alle für verrückt. Er schluckt die bohrenden Fragen nicht hinunter und macht alles mit sich allein aus. Er übergeht die Unsicherheit nicht einfach und lässt sich ja nichts anmerken.

Thomas machte seinem Zweifel laut Luft. Er spricht offen aus, was ihn verunsichert. Ja, er stellt sogar die Glaubwürdigkeit seiner Freunde infrage. Er sucht die Auseinandersetzung. Es erfordert eine gute Portion Mut, die eigenen Zweifel nicht zu übergehen, zu den eigenen Unsicherheiten zu stehen und sie vor allen anderen auszusprechen. Thomas kehrt trotz der Zweifel der Gemeinschaft nicht den Rücken zu. Er sucht sogar ihre Nähe: Er hält an ihr fest, setzt sich weiter mit ihr auseinander.

Und auf der anderen Seite gibt es die Gruppe der Jünger, von denen wir lernen, wie wir mit Menschen umgehen können, die Zweifel an unserer Glaubwürdigkeit und unserem Glauben äußern: Die Jünger grenzen Thomas nicht aus, sie tun seine Zweifel nicht ab, sie kehren seine Fragen nicht vom Tisch, sie liefern auch keine vorschnellen Erklärungen oder servieren ihn mit dogmatischen Antworten ab. Thomas hat auch nach den laut geäußerten Zweifeln Platz in der ihrer Gemeinschaft. Er wird, auch wenn er mit seinen Fragen unbequem ist, nicht von den anderen gemieden oder gar geschnitten.

Das heutige Evangelium ist so gesehen die Ermutigung, einander Zweifel zuzumuten und zuzugestehen: in der Familie, in der Beziehung, in der Kirche, in der Gemeinde, im Zwiegespräch mit Gott.

Zweifeln ist erlaubt. Und wenn wir unsere Zweifel auch äußern können, werden Gespräche möglich. Wir können uns über unsere Fragen austauschen und erfahren vielleicht, welche Zweifel den Nachbarn neben mir quälen oder welche Antworten er auf seine Zweifel gefunden hat.

Wo das möglich ist, fühle ich mich ernst genommen, angenommen und geliebt.

Sonja Brindl nach einem Entwurf von Stefan Müller-Guggemos

Veröffentlicht in alle, Glauben.

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