Viele waren danach ganz hin- und hergerissen, manche mehr her, die meisten mehr hin. Aber unberührt hat Pfarrer Rainer Maria Schießler niemanden gelassen, als er am Mittwoch, dem 5. Oktober, im Pfarrsaal Prutting auftrat. Dazu ist er in seiner freihändigen, bewegten Rede viel zu nah und lebendig, lustig und mitreißend.
Wer Schießler zum ersten Mal live erlebt, kann nur staunen. Es gibt eine ganze Menge Kabarettisten, die diesem Pfarrer auf der Bühne nicht das Wasser reichen können. Schießler macht Witze, zieht Anekdoten aus dem Ärmel, kommt vom Hundertsten ins Tausendste – überhaupt erzählt er. Und das gehört zu den vielen Dingen, die er sehr, sehr richtig macht. Erzählen weckt die Neugier und lockt an und vor allem: Erzählen ist nie Beschwerde, ist kein Fordern und keine Rechthaberei. Erzählen ist das allerbeste Argument: Bei mir klappt’s, geh her, „ich erzähl’s nur, weil: ‚zur Nachahmung empfohlen‘“. Auch sein Buch „Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten statt austreten“ ist ja kein Rebellen-Manifest, sondern ein Kranz persönlicher Exempelgeschichten um eine Kirche, in der er und wir und viele mehr, als es scheint, liebend gern zu Hause sein möchten.
Nie steht an diesem Abend die Frage im Raum, wer dafür und wer gegen etwas ist. Darum geht es nicht. Worum geht es dann? Es geht um die Gegenwart. „Lesen wir die Gegenwart!“, sagt Schießler – wie der Freeclimber, der sich mit einem Finger festhält, die Wand vor ihm: „Wo geht’s jetzt da weiter?“ Also setzt Schießler dort an, wo er gerade herkommt, in diesem Fall vom Oktoberfest, wo er seit bald zehn Jahren kellnert, er beginnt in Prutting, wo wir uns befinden, mit Ortserinnerungen aus der Zeit, als er Kaplan in Rosenheim war, an eine Prozession „um diesen Weiher herum“ und den „Negerkraal“ draußen in Schwabering („eine alte Liebe von mir“), an Pfarrer Zimmermann, an Schließlers mehrsprachigen Rosenheimer Beichtstuhl („Hochdeutsch – Bairisch“) und wie es Dekan Anton Fredlmeier gemeint hat, als er sagte: „Sie san so a bläder Hund.“
Aber „diese Zeiten san vorbei. Wer sich an nostalgischen Erinnerungen festhalten möchte, dem sei es gegönnt, für sich selber, aber es ist kein Zukunftsprinzip für die Kirche – das muss uns klar sein.“ Wie eine katholische Kirche aussehen könnte, die viele Leute, die glauben wollen, auch tatsächlich erreicht, probiert Schießler aus. Und es geht ihm nicht darum, dass mehr Leute zum Gottesdienst kommen, „sondern dass ich mehr Leute zu Christus bringe.“ Er hat den Beweis angetreten, dass das geht, dass eine katholische Kirche möglich ist, die Menschen aufnimmt und Menschen, die Gott suchen, segnet, ob gleichgeschlechtliche Paare, wiederverheiratet Geschiedene oder bei der ökumenischen Mahlgemeinschaft. Und er erzählt davon landauf, landab: wie Kirche die Menschen begleiten kann, statt sie zu verstoßen; wie sie Leute, die berufen sind, nicht am Wegesrand liegen lässt; wie sie Menschen entgegenkommt, die Gott suchen. Dass jeder einzelne Pfarrer dabei meist allein und auf eigene Faust Lösungen finden muss, ist befremdlich genug. Aber es geht trotzdem, nicht immer unfallfrei, aber mit großem Erfolg:
„Lieber eine verbeulte Kirche“, sagt Schießler mit einem Wort von Papst Franziskus, „als eine Kirche, die glänzt wiara Auto, des seit zwanzg Jahr in da Garasch steht, aber nix von da Weyd gseng hod. Lieber ein paar Beuln oder a paar Kratzer drin, amoi an Umweg fahrn, amoi an Irrweg gehn, aber was ausprobieren, damit ma Menschen erreicht! Darum geht’s.“
Fast zwei Stunden vergingen auf diese Weise im Sauseschritt, sodass manche am Ende gar nicht recht wussten, wo ihnen der Kopf stand. Ich für meinen Teil bin ausgesprochen froh, wenn es Menschen wie Schießler sind, die an unserer Kirche bauen. Ihm sei für diesen auch sehr tröstlichen Abend von Herzen gedankt. Das taten als Erste Pfarrer Guido Seidenberger und der Planer und Moderator Kurt Kantner, der Schießler außerdem mit einer Gast- und Geburtstagsgabe bedachte. Zu danken ist ausdrücklich auch dem evangelischen Pfarrer in München, der am Mittwoch die seelsorgerische Rufbereitschaft übernahm (Schießler: „Es muss immer jemand erreichbar sein!“).
An Spenden sind am Mittwoch insgesamt über 600 Euro zusammengekommen, außerdem wurden 39 Bücher verkauft, deren Erlös Christian Springers Orienthelfern zufließt.
Florian Eichberger
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