„Maria wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen.“ So lautet das Dogma, das unserem heutigen Fest zugrunde liegt.
Diese Lehraussage fasste Papst Pius XII. im Jahr 1950 als theologische Folge der diesem Dogma vorausgegangen Lehraussage des großen Mariendogmas Papst Pius’ IX. 1854. Das Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel ist also die logische Folge des Dogmas der unbefleckten Empfängnis. Bei diesen beiden kirchlichen Lehraussagen spielen zwei Dinge ein Rolle, die sich in der Theologie herausgebildet haben: Wenn Eva, die erste Frau, ohne Sünde von Gott geschaffen war, dann musste auch Maria, die ja biblisch und theologisch betrachtet die neue Eva ist, auch ohne Sünde – eben von der Erbsünde befreit – geboren sein. Und als Zweites ist der Zusammenhang zu Jesus da, der ja auch ohne Sünde geboren werden musste, und das ging theologisch betrachtet nur so, indem seine Mutter keine Sünderin sein konnte. Die Scholastik, darunter der große Theologe Duns Scutus, beantwortet diese Frage mit der Antwort: Potuit, decuit, fecit – es war möglich, es ziemte sich, Gott hat es gemacht.
Und hier kommen wir dann auch wieder zurück zum heutigen Festgeheimnis. Ohne die Erbschuld kann Maria die Verwesung nicht schauen und wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen.
Wir fragen zunächst: Wo ist das, im Himmel? Der theologische Ausdruck „Himmel“ ist aus dem alttestamentlich-jüdischen Sprachgebrauch übernommen. Himmel ist keine Ortsbezeichnung, sondern ein Synonym für Gott. Im Himmel sein meint also ganz einfach „bei Gott sein“. Das wird auch im Dogma Pius’ XII. deutlich, das eben eine theologische Aussage und keine im strengen Sinn historische Aussage mit Angabe von Zeitpunkt und Ort sein sollte.
Vorher aber, sagt uns Paulus in der Lesung (1 Kor 15,20–27a), ist der Tod. Weil aber Christus von den Toten auferweckt wurde, werden in ihm auch alle, die zu ihm gehören, lebendig gemacht, also dem gleichgemacht, von dem alles Leben kommt, weil er das Leben selber ist; Gott ist das Leben. Maria wurde nach ihrem Tod dieses neue Leben bei Gott und in Gott zuteil, deswegen „Mariä Aufnahme in den Himmel“. Und genau dasselbe, sagt uns Paulus, soll uns allen geschenkt werden. Durch die Erlösungstat Christi ist dieses Leben bei Gott unser aller Zukunft. Wir alle sollen nach Gottes Willen diese Vollendung finden. Aber die Vollendung jedes Menschen ist kein Naturgesetz, sodass unsere Vollendung automatisch eintreten müsste. Unsere Vollendung ist ein eigener Akt Gottes. Er nimmt uns an und schenkt uns ewiges Leben, weil wir – wie es Paulus sagt – zu Christus gehören.
Nun aber wird von Maria gesagt, dass sie „mit Leib und Seele“ in den Himmel aufgenommen wurde. Da fragen wir spontan: Was soll im Himmel, also im materielosen Sein Gottes, ein menschlicher Leib mit Haut und Fleisch und Knochen? Die Formulierung „mit Leib und Seele“ meint ganz einfach: Als der ganze Mensch, der sie auf Erden war, wurde Maria in den Himmel aufgenommen, mit all dem, was für den Menschen Maria typisch, charakteristisch war, mit all den Merkmalen ihrer eigenständigen, unverwechselbaren Persönlichkeit ist Maria nun im Himmel. Das kann der Ausdruck „mit Leib und Seele“ meinen.
Doch damit ist nicht unbedingt ausgenommen, dass es wirklich so war. Es ist zwar schwierig dies historisch nachzuweisen, doch in der neuesten Forschung werden die lange sehr kritischen Stimmen wieder leiser, und die Zeit, in der man alles auf eine andere Ebene geschoben hat, klingt auch wieder ab. Vieles in der Forschung erscheint wieder in einem anderen Licht.
Im ausgehenden 4. Jahrhundert ist das Fazit eines Kirchenvaters, des Bischofs Epiphanius von Salamis: „Gott ist nicht unmöglich, alles zu tun, was er will: denn Marias Ende kennt niemand.“ Im 5. Jahrhundert ist dann die Rede von der Entschlafung Mariens, was aber schon in Richtung einer Aufnahme in den Himmel gleichzusetzen ist. In einem koptischen Text, ebenfalls aus dem 5. Jahrhundert, wird dann schon auf das leere Grab Mariens verwiesen, was auch weitere Quellen aus dieser Zeit bestätigen. Es ist der Ort, an dem heute die Benediktiner-Abtei Dormitio sich über dem Grab Mariens erhebt.
Die Befunde decken sich interessanterweise mit vielen Details aus den Beschreibungen vom Tod Mariens aus den frühen Jahrhunderten der Kirche, die aber mittlerweile noch früher, vor das Konzil von Nicäa datiert werden. Und auch die Archäologie geht mittlerweile so weit, das vermutete Grab Mariens aufgrund von Übereinstimmungen in das 1. Jahrhundert zu datieren.
Wir sehen also, mittlerweile kommen wir mit der Archäologie und den übereinstimmenden schriftlichen Dokumenten sehr nahe an das heran, wie der Tod Mariens und ihre Bestattung abgelaufen sein könnte und was sich hinter dem Begriff „Entschlafung Mariens“ verbirgt. Doch ähnlich wie bei Christus bleibt ihre „Himmelfahrt“ ein Mysterium des Glaubens.
Und doch – das, was an Maria geschehen ist, ist die Hoffnung für uns: Auch für uns Menschen ist in der Herrlichkeit Gottes ein Platz vorgesehen.
Amen.
Konrad Roider