St. Georg

Straßkirchen feiert 1100 Jahre offene Dorfgemeinschaft

Am 9. Juni feierte Straßkirchen sein 1100-jähriges Bestehen bzw. seine erste urkundliche Erwähnung im Jahr 924. Denn die Geschichte des Ortes reicht sicher noch wesentlich weiter zurück.

Mit dem Wetter hatte Straßkirchen sich in diesen Tagen gütlich arrangiert: Das Land bekam seinen Regen, und wenn es gerade nicht regnete, feierte Straßkirchen Stadlfest (am Freitag) oder Jubiläum (am Sonntag). So konnte der Festgottesdienst auf dem Kirchhof um St. Georg doch noch im Freien stattfinden: Die Straßkirchener, die lebenden und die verstorbenen, feierten mit den zahlreichen Gästen aus Vogtareuth, aus Zaisering, aus Prutting und Schwabering und von noch weiter her gemeinsam – wie als Sinnbild dessen, was zuerst im Evangelium anklang und dann von Pfarrer Guido Seidenberger ausgefaltet wurde:

„[Jesus] blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ (Mk 3,34f.)

Seidenberger konnte in der Predigt um sich blicken und zu Straßkirchen ebenso wie zur Europawahl dieses Tages sagen: „Fühlt euch wie Schwestern und Brüder und lasst euch nicht auseinanderbringen und spalten. Denn Spaltung führt dazu, dass eine Gemeinschaft keine Zukunft hat.“ Er hatte als Illustration sogar eines seiner Primizgeschenke mitgebracht: ein Licht, um das herum vier Figuren eng zusammenhalten. Nur, sagte er, würde er die Figuren lieber umdrehen und nach außen schauen lassen. Denn: „Es ist ganz wichtig, dass wir als Gemeinschaft unseren Blick nicht nur nach innen wenden, sondern auch nach außen schauen“ und offen sind. Das Licht in der Mitte passte außerdem prima zum Festgeschenk, das die Kirchenverwaltung von St. Emmeram mitgebracht hatte, einer Kerze, die gleich zu Beginn gesegnet und entzündet wurde.

Das war natürlich nicht das einzige Geschenk. Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst nämlich vom Vogtareuther Kirchenchor mit Umi Stephan am Klavier und einer Welturaufführung: Die „Missa mille centum“ (Messe 1100) ist eine Anlasskomposition aus der Feder von Chorleiterin Martina Schmidmaier eigens für diesen Tag. (Wir hatten sie zu Ostern zwar schon einmal gehört, aber das war nur die Generalprobe.) Erstaunlich ist besonders die altklassisch vokalpolyphon vorgetragene Qui-tollis-Bitte um Erbarmen für Alt- und Sopranstimmen im Gloria. Oder das Sanctus mit seinen dynamisch sich auftürmenden Himmeln (Pleni sunt coeli) und ungestümen Hosanna-Rufen, die einander ins Wort fallen, so sehr wollen sie loben und preisen, zur Andacht der Männerstimmen im Benedictus kurz einkehren, dann aber wieder ausbrechen und jubeln. Oder das Agnus Dei: Gesang gewordene Versöhnung, anders ist es kaum zu sagen. Wer das verpasst hat, kann sich nur mit der Hoffnung trösten, dass es vielleicht irgendwie gelingt, diese wunderbare Messe, was aufs Innigste zu wünschen wäre, doch noch einmal in den Jahreslauf zu schmuggeln. Schließlich war es ja auch möglich, das zweite Anlasseigengut dieses Tages, das Lied „So ein wunderbarer Tag“, das es 2023 zur Orgelweihe gab, noch einmal aufzubürsten und mit neuem Text nach Straßkirchen mitzubringen.

Vor dem Schlusssegen, beim Dank an die Ministranten, die Mesnerin und alle Beteiligten, versprach uns Seidenberger noch ein paar „interessante Ansprachen“. Zuerst aber erklang gemeinsam das Te Deum, bei dem Hans Forstner und die Vogtareida Blosn die musikalische Begleitung übernahmen, ehe sie danach den festlichen Kirchenzug anführten und später zum Mittagessen aufspielten, das die Schützen ruckzuck an die Tische im und am Stadl von Michael und Anita Rinser brachten, sodass niemand lange warten musste. Das gab es, wie Kaffee und Kuchen, unkompliziert gegen Spende. Die einen vertieften sich dann in anregende Gespräche, die anderen zog es mehr auf die Hüpfburg, wieder andere machten die Kirchenführung von Hans Kirchbeck mit. Dazwischen begann es zu tröpfeln, aber das störte niemanden.

Zuerst aber gab es, wie gesagt, interessante Ansprachen. Interessant ist tatsächlich, dass dem Kirchenpfleger von St. Georg in seiner Ansprache – getreu dem Sepp-Liegl-Motto „Non est disputandum“ (Brauchma gar ned redn) – das Kunststück gelang, nicht länger anzusprechen als nötig: In 3 Minuten und 2 Sekunden dankte er im Namen des Pfarrgemeinderats Vogtareuth und der Kirchenverwaltung Straßkirchen Pfarrer Guido Seidenberger und der Kirchenverwaltung Vogtareuth, dem Schützenverein, Martina Schmidmaier, der Blasmusik, der Familie Rinser, der Mesnerin, Daniela Schmidmaier und allen, die gebacken, sowie überhaupt allen, die sonst mitgeholfen haben, und begrüßte die drei Bürgermeister Anton Görgmayr, Johann Bürger-Schuster und Rudolf Leitmannstetter, welcher gleich im Anschluss zum Zuge kam (8 Minuten, 57 Sekunden). Leitmannstetter blickte auf über 1100 Jahre Geschichte zurück, auf die Entdeckung Amerikas, den Turmbau zu Straßkirchen, den verhinderten Abbruch von St. Georg und die erfolgreiche Anlage der Auffahrt sowie natürlich auf die erste urkundliche Erwähnung – ungefähr so, nur in etwas anderen Worten:

Im 10. Jahrhundert zog Erzbischof Adalbert von Salzburg gegen Ende seiner Amtszeit (935) Bilanz und ließ die Dokumente der Rechtsgeschäfte, die er als Bischof getätigt hatte, als Buch binden. Dieser Codex Odalberti enthält Urkunden der Jahre 923 bis 935, darunter, als Nr. 44, eine conplacitatio zwischen dem Erzbischof und seiner Frau Rihni („inter Ôdalbertum Archiepiscopum et Rihniam quandam nobilem mulierem“).

Hintergrund ist, dass Adalbert II., 923–935 Erzbischof von Salzburg und Abt des Benediktinerstifts St. Peter, erst spät zu diesem Amt berufen wurde und sich beim Antritt von Rihni trennte. Wohl (auch) um seine Frau zu versorgen, die ihren Sitz in Rohrdorf nahm, wurde ein umfangreiches Tauschgeschäft getätigt. Eine conplacitatio nämlich ist eine besondere Form des Tauschgeschäfts. Dabei bleibt die Nutznießung beider (!) Tauschobjekte zunächst beim weltlichen Tauschpartner, und zwar auf dessen Lebenszeit (bzw. auf Lebenszeit eines Erben); danach aber fallen wiederum beide (!) Teile ganz an den geistlichen Tauschpartner. Im konkreten Fall bekam Rihni Gars und 18 Orte und Höfe, unter anderem in Straßkirchen, sowie den Drittelzehent von neun Kirchen: Söchtenau, Prutting, Schwabering, Straßkirchen, Endorf, Antwort, Pietzing, Söllhuben, und Neukirchen; dafür überschrieb sie Salzburg ihren Besitz zu Soyen1. Datiert ist das Ganze auf ‚das Jahr der Fleischwerdung des Herrn DCCCC XXIIII‘, also auf das Jahr 924.

Kurz und gut: Sehr schön war’s, rundum gelungen! Wir freuen uns schon auf 2124.

Florian Eichberger

1 Welcher Ort bei „in loco Seuuâ dicto“ gemeint ist, ist unsicher. Vermutlich es aber eher Soyen als Seeon. Vgl. Gerald Dobler, Ferdinand Steffan: Die Kirche St. Laurentius in Zell bei Wasserburg a. Inn. In: Heimat am Inn. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur des Wasserburger Landes 35/36 (2015/2016), S. 179–218, hier S. 180–183.

Veröffentlicht in Straßkirchen.

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