Pfarrkino St. Peter

Die Inszenierung des Ausnahmezustands

Für den gestrigen Kinobend im Pfarrheim Schwabering hatten Ulli Oberfuchshuber und Pfarrer Guido Seidenberger einen Film ausgesucht, der in einer ganz anderen Welt spielt: im Predigerseminar in Wittenberg.

Dort begleiteten Chris Wright und Stefan Kolbe angehende evangelische Pastoren ein Jahr lang auf einem wichtigen Abschnitt ihrer Ausbildung, dem Vikariat, das auf das Theologiestudium folgt und zweigeteilt ist: Es umfasst einmal die Mitarbeit in einer Gemeinde, zum anderen mehrere Seminarblöcke, zum Beispiel eben im Augusteum, dem ältesten deutschen Predigerseminar. Für die Männer und Frauen ist das eine Parallelwelt, ein Ausnahmezustand, in dem es vor der Ordination neben praktischen Übungen im Singen, Segnen etc. am Ende um die Frage geht: „Ist der Pfarrerberuf das Richtige für mich?“

„Pfarrer“ (2014), © Salzgeber & Co. Medien GmbH
Momente der Besinnung oder des persönlichen Gebets bleiben dem Auge der Kamera meist verborgen. Oder sie verschließt es. (Bild: Salzgeber & Co. Medien GmbH)

Pfarrer“ (2014) firmiert als Dokumentarfilm (aus dem Material wurde auch ein Hörstück), führt allerdings kräftig Regie, mit vielen Schnitten, von denen manche demonstrativ mitten im Satz geschehen oder gar deutlich erkennbar zwischen Frage und Antwort. Die Kamera geht oft näher an die Hauptfiguren heran, als ein üblicher Gesprächsabstand erfordern würde; mehrfach rücken die Filmemacher auch selbst ins Bild, benennen ausdrücklich ihren Status als bekennende Atheisten oder werden vom Seminarleiter thematisiert. Insofern zeigt sich der Film doch auch als Collage und fährt zwei Strategien parallel: Manche seiner Verfahren legt er offen, andere wendet er lieber stillschweigend an. Das anschwellende apokalyptische Sturmgebraus auf der Tonspur etwa hat offenbar keine dokumentarische Entsprechung im Bild, beim Joggen und Radfahren nimmt die Kamera Figurenperspektive ein, streckenweise spielt „Pfarrer“ auch deutlich mit Genre-Welten (Horror, Roadmovie etc.). Kennzeichnend für die Gespräche scheint zu sein, dass die Regie kaum eine Frage-Antwort-Situation ganz gibt. Neben den bereits erwähnten überdeutlichen Zwischenschnitten lässt sie manchmal einen langen Vorlauf reiner Beobachtung, bricht dann aber ab; andere Male lässt sie den Befragten, wenn sie nicht weiterwissen, sehr viel Zeit dazu, nicht weiterzuwissen. Wenn eine Seminaristin sagt, dass sie von etwas nicht erzählen möchte, so kontert die Stimme hinter der Kamera: „Das musst du auch nicht.“ So etwas geschieht also nicht ohne Genehmigung der Filmemacher, die in keinem Moment die Deutungshoheit über ihr Material aus der Hand geben.

Die verschärfte Selbstfindungssituation, die streckenweise an eine mündliche Marathonprüfung erinnert, ist wohl zum Teil der Gegenwart der Kamera geschuldet, zu einem Teil sicher aber auch dem Seminar an sich. In katholischen Breiten muss man vielleicht bedenken, dass speziell die Predigt in den evangelischen Kirchen eine ganz andere, sehr viel tragendere Rolle hat; sie ist Wort Gottes, ist – dies ein weiterer zentraler Begriff, an dem die Kandidatinnen und Kandidaten schier verzweifeln – Evangelium. Dass Selbstfindung und Selbstzerfleischung nah beieinanderliegen können, leuchtet zwar ein. Aber hinter den Verfahren und der filmischen Lust an der Zerstückelung ist das schwer zu beurteilen.

Die anschließende Diskussion fand die Einblicke in die Pfarrerwerdung hochinteressant, bemerkte aber mit Erstaunen, wie schwer sich die angehenden Pfarrerinnen und Pfarrer gerade mit „einfachen“ Glaubensfragen tun. Zu ergänzen wäre vielleicht, dass Gläubige reformierter Kirchen generell deutlich mehr Eigenverantwortung gegenüber Jesus tragen, und wenn die Frage nach dem Evangelium „jetzt und hier und für mich“ beantwortet werden muss, muss sie auch immer neu beantwortet werden. Das ist freilich schwer, und da darf gerungen werden. Auch wurde, durchaus mit Seitenblick auf die katholische Kirche, bemerkt, dass es vor allem die Frauen sind, die hier Wesentliches beitragen, nicht zuletzt die ehrliche, mutige Weisheit, „ich weiß es nicht“ zu sagen, wenn man etwas nicht weiß. Das ist schon schwer. Und fast unmöglich ist diese Antwort auf die Schüsselfrage im eigenen Lebenslauf: „Ist der Pfarrerberuf jetzt das Richtige für mich oder nicht?“

Für das Pfarrkino war „Pfarrer“ jedenfalls genau richtig, mit einem hochinteressanten Nachgespräch und mit der legendären Gastlichkeit, mit der man im Jugendraum mit Knabberei und Getränken in die Polstersessel komplimentiert wird. Vielen Dank dafür! – „Pfarrer“ ist bei der Edition Salzgeber als DVD erschienen und im Handel erhältlich, u.a. bei Weltbild. Den Trailer zum Film kann man z.B. auf YouTube sehen.

Florian Eichberger

Veröffentlicht in alle, Pfarrverband, PGR SCH, Schwabering.

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