Nach „Pilgern auf Französisch“ lud Ulrike Oberfuchshuber am 11. März abermals zu einem Film aus Frankreich ins Schwaberinger Pfarrkino: „Die Sprache des Herzens“. Die Handlung, die im ausgehenden 19. Jahrhundert spielt, beruht auf einer wahren Begebenheit.
Als das Licht im Schwaberinger Pfarrheim wieder anging, war sich die Schar der großen und kleinen Cinéasten aus den Pfarreien einig, dass dieser Kinotipp, den Pfarrer Guido Seidenberger gegeben hatte, goldrichtig war. Es gibt nicht viele Filme, die so bewegend sind, ohne der Rührseligkeit zu verfallen. Dass die auf Gesichter, Hände und Figuren in Räumen konzentrierte Darstellung ganz bewusst gewählt ist, zeigt die großartige Schlussszene am Grabkreuz, in der die taubblinde Marie Heurtin im Gebet mit der toten Schwester Sainte-Marguerite spricht. Dieses stumme Spiel ist erst hier künstlerisch überhöht, nun aber gleich doppelt: zum einen als faszinierendes Händeballett, das selbst Kunst ist – wie groß diese Kunst ist, haben wir in den vorangehenden 90 Minuten erlebt –, zum anderen in der Kamerafahrt, die unseren Blickwinkel in den Himmel hinaufzieht, aus dem wir, zugleich die Adressaten dieser Künstlerin, zurück auf das bewegt betende Mädchen in der Welt blicken.
Das ist nicht nur ganz großartig und eine wirkmächtige Epiphanie, sondern auch wohl überlegt. In jedem Fall zeigt Jean-Pierre Améris damit, dass er uns auch zuvor schon Rotz und Wasser hätte heulen lassen können. Stattdessen hat er lieber seinen Schauspielerinnen vertraut, hat Taubheit und Blindheit nicht zum Erzählanlass herabgewürdigt, sondern erzählt, wie es kommt, dass eine Taubblinde für sich selbst sprechen kann.
Dahinter steht schließlich eine wahre Geschichte. Schauplatz ist die Institution de Larnay, eine 1847 begründete Einrichtung der Filles de la Sagesse („Töchter der Weisheit“) für gehörlose und/oder stumme Mädchen. Dorthin kam auch die kleine Marie Heurtin (1885–1921), die von Geburt an taubblind war. Schwester Sainte-Marguerite (Marie Germain, 1860–1910) gab auch diesen „unlösbaren Fall“ nicht auf. Über Jahre hinweg suchte, fand und übte sie mit Marie neue Wege der Verständigung. Die Verschriftung dieses Kommunikationswunders durch Louis Arnould („Une âme en prison“ [„Eine Seele in Gefangenschaft“], Paris 1900) machte Schwester Sainte-Marguerite, Marie Heurtin und die Methode Larnay überregional bekannt und berühmt.
„Marie Heurtin“ ist darum auch der Originaltitel des Films von Jean-Pierre Améris aus dem Jahr 2014. Die Rolle der Marie spielt die gehörlose Ariana Rivoire vom Institut National des Jeunes Sourds de Chambéry, dass es zum Staunen ist, mit Händen, Füßen und einem Gesicht, das fühlt und riecht. Gegen dieses Wunder hat es Isabelle Carré als Schwester Sainte-Marguerite gar nicht leicht zu bestehen; tatsächlich ist die unterschiedliche Konturenschärfe beider Frauengestalten vollkommen stimmig. Am Ende entspricht das Verblassen Marguerites in der Krankheit zum Tode genau der immer lebendigeren Farbgebung Maries.
Das war ein wirklich wunderbarer Film – vielen Dank den Veranstaltern! Wir sind gespannt, was das Schwaberinger Pfarrkino fürs nächste Mal ansetzen wird.
Florian Eichberger
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