Liebe österliche Festgemeinde!
Über dem Grab Jesu steht seit dem 4. Jh. eine mächtige Kirche. Diese Kirche ist keineswegs ein Ort der Besinnlichkeit oder gar ein Ort himmlischen Friedens. Die Christen der verschiedenen Konfessionen erheben Anspruch auf diese Kirche. Am Ort der Auferstehung wird der Streit zwischen den Christen auf bedrückende Weise anschaulich.
Seit Jahren kann man sich nicht über dringend notwendige Renovierungsmaßnahmen einigen. Jede der – wohlgemerkt: christlichen! – Konfessionen schmückt ihre Ecke nach ihrem Geschmack. Nichts passt zusammen. Die ganze Kirche wirkt wie ein buntes Sammelsurium. Dazu kommt noch eine bedrückende Dunkelheit in der Kirche.
Das Heilige Grab selbst, der Ort der Auferstehung, der heiligste Ort der Christenheit, ist ein mit Marmorplatten umbautes Grabkapellchen, das seit einem Erdbeben im Jahr 1927 nur noch von Stahlträgern zusammengehalten wird, damit es nicht auseinanderbricht.
Vielleicht ist dieses traurige Bild des Auferstehungsortes mehr, vielleicht spiegelt es den Osterglauben der Christenheit unserer Tage wider. Manchmal hat man das Gefühl, dass der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi genauso am Zerbröseln und Auseinanderbrechen ist, wie die Grabkapelle in Jerusalem. Umfragen zeigen ja deutlich, dass selbst unter den bekennenden Christen immer weniger wirklich an die Auferstehung Jesu glauben.
Zugegeben, mit Ostern mutet uns Gott auch einiges zu. Die Botschaft, die heute verkündet wird, ist letztlich unglaublich. Diese Unglaublichkeit ist aber kein Phänomen unserer Zeit. Dies war von Anfang an so. Von den ersten Personen, die am frühen Ostermorgen zum Grab kommen, das leere Grab sehen und sogar hineingehen, heißt es nur von einem einzigen, dem Lieblingsjünger Johannes: „Er sah und glaubte.“ Selbst Petrus geht weg, als ob nichts geschehen wäre. Maria aus Magdala glaubt nur an einen Diebstahl des Leichnams oder an eine Verlagerung an einen andern Ort. Dreimal muss der Auferstandene den Jüngern erscheinen, bis der Glaube an die Auferstehung in ihrem Herzen angekommen ist, bis das Licht des Ostermorgens für sie aufleuchtet.
Ein leeres Grab ist zu wenig, um einen Glauben an die Auferstehung zu begründen. Immer wieder muss der Auferstandene den Jüngern begegnen, bis sie wirklich glauben können. Der Auferstandene muss ihnen begegnen, bis sie so glauben können, dass sich ihr Leben verändert, bis sie die Auferstehungsbotschaft auch weitergeben können.
Ein leeres Grab genügt nicht. Erst die Begegnung mit dem österlichen Herrn bewirkt, dass die Jüngerinnen und Jünger als Zeugen hinausgehen können, um die unglaubliche Botschaft glaubwürdig bis an die Grenzen der Erde zu verkünden.
Zum Glauben an die Auferstehung können wir niemand überreden, so wie auch wir uns dazu nicht überreden lassen. Die Auferstehung kann man auch nicht beweisen – auch nicht und schon gar nicht durch ein leeres Grab. Auch flammende Worte können keinen Auferstehungsglauben bewirken. Um zum Glauben an die Auferstehung zu kommen, gilt für uns nichts anderes, als für die Begleiter Jesu gegolten hat: Auch wir müssen dem auferstandenen Herrn begegnen.
Wenn wir nach Jerusalem pilgern und das leere Grab in seinem jämmerlichen Zustand betrachten, kommen auch wir nicht zum Glauben an die Auferstehung. Der Glaube an die Gegenwart Gottes in der Welt kann nur dadurch entfacht werden, dass wir ihm selbst begegnen. Nur wenn der Auferstandene selbst gegenwärtig wird, ist und bleibt er in unserem Alltag, nur wenn er die Mitte unseres Lebens ist, kommen wir zum Glauben.
Der Auferstandene begegnet uns, wenn wir uns ihm im Gebet anvertrauen. Er begegnet uns, wenn wir sein Wort hören und uns auf ihn einlassen, er begegnet uns, wenn wir ihn in der Eucharistie ganz in uns aufnehmen.
Zum Ernstfall wird für jeden von uns aber, wenn der Auferstandene uns leibhaftig gegenübersteht: in einem Menschen, der uns braucht – in den Kranken und Behinderten, in den Menschen, die bei uns Aufnahme erbitten, in den vielen Begegnungen des täglichen Lebens. Immer dort, wo wir dem Auferstandenen begegnen, beginnt eine Hoffnung zu keimen, die spüren lässt, dass es weitergeht im Leben, auch wenn wir gerade ein Tal des Todes durchschreiten. Immer dort, wo wir dem Auferstandenen in einem Menschen persönlich begegnen, beginnt eine Hoffnung zu keimen, die erkennen lässt, dass wir Werkzeug des Auferstandenen sind, um ein Leben in Fülle möglich zu machen.
Wenn Ostern unser Lebensziel ist, ist plötzlich alles anders. Plötzlich lohnt sich der Einsatz für eine bessere Welt. Wir müssen dann nicht mehr die Ellbogen ausfahren, um möglichst viel für uns herauszuholen. Wir müssen nicht mehr darauf bedacht sein, immer der Starke zu sein, womöglich auf Kosten der Schwachen. Der österliche Auferstehungsglaube macht dieses Urprinzip der Menschheit zunichte. Sieger ist nicht mehr der Starke, sondern der vermeintlich schwache. ER, der am Kreuz in ohnmächtiger Liebe gestorben ist, trägt am Ende den Sieg davon. Das Osterfest mahnt uns eindringlich, darauf zu vertrauen, dass diese Welt, dieses Leben nicht alles ist. Es mahnt uns, aufzuhören, nur an den eigenen Vorteil und das eigene Überleben zu denken. Das Osterfest mahnt uns eindringlich, den nächsten in den Blick zu nehmen, sodass echte Menschlichkeit möglich wird.
Immer weniger Menschen glauben an die Auferstehung Jesu, an seine Gegenwart in unserem Alltag. Damit geht ein zentraler Punkt für ein gelingendes Leben verloren. Wenn der Auferstehungsglaube schwindet, ja verschwindet, geht der Glaube an die Gegenwart Gottes in der Welt verloren. Der Glaube daran, dass Gott es ist, der die Welt und das Leben auf der Welt lenkt und führt, verschwindet. Ein Toter kann die Welt nicht führen, dazu braucht es einen Lebenden, dazu braucht es die Auferstehung. Wenn der Auferstehungsglaube immer mehr zerbröselt, ja am Ende ganz verloren geht, steht nicht weniger als die Welt auf dem Spiel. Der Osterglaube, der Glaube an die Auferstehung Jesu hält die Welt zusammen, so wie das Stahlgerüst das Heilige Grab in Jerusalem zusammenhält.
So ist das Bild des Heiligen Grabes für uns eine Mahnung, am Auferstehungsglauben festzuhalten und diese Überzeugung auch weiterzugeben – mit Worten, aber insbesondere durch Taten. Tun wir es den ersten Zeugen der Auferstehung gleich. Lassen auch wir uns tragen von den vielen täglichen Begegnungen mit Christus, dem Auferstandenen. Rufen auch wir, wie die Zeugen der Auferstehung unsere Hoffnung hinaus in die Welt, unsere Hoffnung, dass er das Leben der Welt und das Leben eines jeden von uns in seiner Hand hält.
Rufen auch wir unsere Hoffnung hinaus in die Welt, unsere Hoffnung, dass er mit uns geht und bei uns ist, alle Tage unseres Lebens. Weil Christus lebt, leben auch wir. Halleluja!
Hans Mair
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