Es gibt in der Erzdiözese München und Freising eine Gesamtstrategie. Bei der ersten Informationsveranstaltung zur Ausgestaltung der Gesamtstrategie – Leitprojekt „Immobilien und Pastoral“ am 22. Mai im KUKO Rosenheim waren aus dem Lenkungskreis Generalvikar Christoph Klingan, Amtschefin Dr. Stephanie Herrmann und Finanzdirektor Markus Reif sowie aus dem Projektkoordinationsteam Pastoralreferent Thomas Hoffmann-Broy gekommen.
Im vollen Saal waren nicht viele bekannte Gesichter von Geistlichen zu erkennen, dafür umso mehr Kirchenpfleger und weitere Ehrenamtliche aus Kirchenverwaltungen (KV), Pfarrgemeinderäten (PGR) und Pfarrverbandsräten sowie Verwaltungsleiter. Frauen waren auch da, doch das sonore Gebrummel beim Schlussgebet erinnerte deutlich daran, dass der Abend vor allem ein Herrenabend war.

Sorgenliste SVA-Projekte Seelsorge
Dass so viele gekommen waren, durfte kaum verwundern. In einer internen Meldung vom 26. April an Seelsorge und Verwaltung hatten Klingan, Herrmann und Reif mitgeteilt, dass die sogenannte „Liste SVA-Projekte Seelsorge“ eingekürzt wird. SVA steht hier nicht für „Schwiegervater“, sondern für „strategischer Vergabeausschuss“. Es geht also um die Bauregeln und darum, welche Baumaßnahmen (nicht mehr) gefördert werden:
„Die Ordinariatskonferenz hat […] beschlossen, alle bisher im Erzbischöflichen Ordinariat eingereichten Bauanträge, die aktuell mit weniger als 3,5 Punkten bewertet sind, abzulehnen. Durch diesen Beschluss findet eine Kappung der Liste ‚SVA-Projekte Seelsorge‘ statt.“
So fällt zum Beispiel die Behebung der Feuchteschäden von St. Vitus, Zaisering, mit einer Gesamtbewertung von nur 3,35 Punkten automatisch aus der Liste. Die Liste SVA-Projekte Seelsorge ist nicht öffentlich.
Der 3,5-Punkte-Weckruf ist vor dem Hintergrund zu hören, dass die beantragten Zuschüsse zu Baumaßnahmen die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bereits deutlich übersteigen. Die Haushaltsmittel wiederum hängen an der Kirchensteuer, diese hängt an der Menge der Kirchenmitglieder, an der Geburtenquote etc. … eine allseits vertraute Logik. Eher früher als später ist damit zu rechnen, so Erzbischof Reinhard Kardinal Marx in einem Schreiben ebenfalls vom 24. April,
„dass die aktuelle Vielzahl an Gebäuden und Kirchen in Zukunft so nicht mehr erhalten werden können, da die finanziellen Mittel dafür fehlen, es aber wohl auch pastoral nicht sinnvoll ist.“
Aufgeben, anders nutzen, verkaufen
Mit anderen Worten: Wir werden überlegen müssen, welche pastoralen Gebäude – Pfarrhäuser, Pfarrheime, Kirchen und Kapellen in Prutting, Schwabering, Vogtareuth und Straßkirchen, Zaisering und Leonhardspfunzen – wir erhalten können und wollen. Und welche nicht. Rundheraus: Wir werden etwas zusperren, aufgeben, umwidmen müssen. Und wenn nicht wir direkt, dann unsere Nächsten. Das wird wehtun.
Das ist nicht nur im Erzbistum München und Freising so, sondern auch in anderen Bistümern; Kirchen werden verkauft und zu Eigentumswohnungen umgebaut wie Christ König auf dem Lämmchesberg in Kaiserslautern, Kirchtürme werden zu Kletterhallen wie St. Johannes in Wiesbaden-Rambach. Es gibt dazu bereits Leitlinien aus Rom (2019), und es gibt eine Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz „Umnutzung von Kirchen. Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen“ (2003). Hin und wieder wird dabei auch deutlich, dass die Bistümer noch aus einem weiteren Grund Geld brauchen: um die Opfer von Missbrauch zu entschädigen.
Das schöne Musterbeispiel, das auch im KUKO erzählt wurde, ist das von den beiden Pfarrheimen, die nur einen Steinwurf voneinander entfernt gebaut werden, ein evangelisches und ein katholisches. Da ließe sich freilich bequem, sinnvoll und günstiger ein einziges für beide betreiben. Ob solche Fälle in der Wirklichkeit allzu oft vorkommen, wage ich zu bezweifeln.
Wer bestimmt, wer beschließt?
Insgesamt wird das eine schwierige Sache. Der Denkmalschutz spielt ebenso herein wie der Sonderstatus vieler Stiftungen. Finanzdirektor Markus Reif hat das offen benannt und damit einen guten Eindruck hinterlassen: aufrichtig und um vieles auf unterster Pfarreiebene wissend (etwa um die rätselhafte Abneigung, den Sonntagsgottesdienst in der Nachbarkirche drei Kilometer weiter zu feiern); deutlicher als andere erinnert er sich auch daran, dass wir ja eigentlich Christinnen und Christen sind. Nichtsdestotrotz müssen wir vieles, was er darlegte, einfach glauben oder akzeptieren – was wir fürs Erste auch tun wollen. Fragen wir stattdessen, wer „wir“ ist: Wer also wird diese schwierigen Entscheidungen treffen (müssen)?
Hierzu kam Thomas Hoffmann-Broy ans Mikrofon. Er ist gründlich mit den Umsetzungsfragen vertraut – und steckt offenbar tief in den Details, sodass er nicht immer die Distanz wiedergewinnen kann, aus der das Publikum dieses Abends auf den Schlamassel blickte. Einiges blieb daher unklar; vielleicht einfach deshalb, weil es noch gar nicht geklärt ist. Dieses aber scheint klar zu sein:
Entschieden wird in einer zweijährigen Projektphase, die aber nicht überall zeitgleich durchlaufen wird. Manche Pfarreien und Dekanate kommen früher dran, andere später. Die Ebene, auf der diese Entscheidungen gefällt werden, ist nämlich zum einen das Dekanat. Das ist bereits problematisch, da die Dekanate derzeit neu zugeschnitten werden, sie sollen in etwa mit den Landkreisgrenzen übereinstimmen; für Rosenheim ergäbe sich dann allerdings ein Monsterdekanat. In unserem Fall bedeutet das: Welches „Dekanat“ beschließen soll, ist noch unklar. Wie das konkret aussehen soll und inwieweit die Pastoral und damit auch die Pfarrgemeinderäte in diese Prozesse eingebunden sein sollen, blieb am 22. Mai auch noch unklar.
Zum anderen sollen diese Immobilienentscheidungen doch irgendwie auf der Ebene der Pfarrei beschlossen werden. Auch hier bleibt unklar, wer genau entscheidet. Freilich liegt die Verantwortung für die Immobilien zunächst bei den Eigentümern, also den Kirchenstiftungen, mit anderen Worten: den Kirchenverwaltungen.
Immobilien und äh, dings
Ebenso sicher ist die zweite Hälfte des Projekts „Immobilien und Pastoral“, nämlich die Pastoral, nicht Aufgabe der Kirchenverwaltungen; es wäre zu viel verlangt, dass diese auch um die Bedürfnisse, Prioritäten etc. der Gemeinde Bescheid wissen sollten. Dies ist wiederum Aufgabe der Pfarrgemeinderäte, der Pfarrverbandsräte, der Dekanatsräte. (Aus Vogtareuth wurde daher bereits am 13. Mai gegenüber der Ordinariatskonferenz angemahnt, dass diese die Pfarrgemeinderäte des Erzbistums in das Projekt „Immobilien und Pastoral“ einbeziehen und über dessen Fortgang informiert halten möge.)
Insofern ist es kein Wunder, dass auf einer der ersten Folien der „notwendige Schulterschluss von Kirchenverwaltung und Pfarrgemeinderat“ aufgelistet stand. Warum ist dieser Schulterschluss „notwendig“? Weil Kirchenverwaltung und Pfarrgemeinderat zwei separate Gremien sind. Wer hat Kirchenverwaltung und Pfarrgemeinderat so getrennt? (In den evangelischen Kirchengemeinden ist das anders.) Die einen zum Geheimgremium mit Schweigepflicht gemacht, sodass die anderen, mit vielen Pflichten und keinen Rechten betraut, oft nicht einmal wissen dürfen, was in der eigenen Pfarrei ansteht, und ihrer Aufgabe, „regelmäßig durch schriftliche und mündliche Informationen über die Arbeit und Entwicklungen in der Pfarrgemeinde zu unterrichten“ kaum nachkommen können? Die bayerischen Bischöfe. Der „notwendige Schulterschluss“ hätte keinen so verdrucksten Appell nötig, wenn unsere Bischöfe nicht befunden hätten, dass Pastoral-, Immobilien- und Personalfragen nichts miteinander zu tun haben (sollen) und zwei separate Räte benötigen. „Glaube ist schön und gut, aber beim Geld hört der Spaß auf“ ist das Motto unserer Kirchenwohlstandsverfassung.
Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass die Pfarrgemeinderäte stets die Nichts-aufgeben-Woller sind. Im Gegenteil. Es gibt viele, die in der franziskanischen Vorstellung einer „Kirche der Armen“ – einer armen Kirche, die für die Armen da ist – gern zu Hause sind.
Bitte, liebes Ehrenamt
Ich bin sicher, dass die Ehrenamtlichen in den Pfarreien gerne Verantwortung übernehmen, Kirchenverwaltung wie Pfarrgemeinderat. Doch vorerst sieht es stark danach aus, als solle ihnen sozusagen der Schwarze Peter der Schließungen etc. zugespielt werden. Nach der Budgetprojektierung der Gesamtplanung, nach der Gesamtstrategie, nach der Baumaßnahmen-Priorisierung und ihren Punkteregeln, nach den Entscheidungen auf Dekanatsebene sollen am Ende die Ehrenamtlichen vor Ort gegenüber den Gläubigen die traurigen Schließungsergebnisse all dieser Vorentscheidungen als eigene Beschlüsse vertreten?
Und nicht zuletzt muss dazu doch auch dieses gesagt werden: Zumindest die jüngsten massenhaften Kirchenaustritte sind sicher nicht auf die Arbeit der Ehrenamtlichen zurückzuführen. So viel innere Mission könnten wir vor Ort gar nicht machen, wie verschleppter Missbrauch durch geweihte Männer, wie eine einzige Presseerklärung eines Würdenträgers vom Schlage eines Erzbischofs Kardinal Rainer Maria Woelki Leute aus der Kirche treibt. Vielleicht ließe sich vor diesem Hintergrund noch einmal prüfen, ob der dicke Budgetposten für Pensionsrücklagen kategorisch unantastbar sein muss.
Andererseits liegt praktisch auf der Hand, dass die Eindampfung nur mit kostenlosen Ehrenamtlichen zu stemmen ist. Wollte das Erzbistum bezahltes Personal dafür einstellen und die Sache selbst in die Hand nehmen, wäre noch weniger Geld für den Gebäudeerhalt übrig – das Personal ist der größte Aufwandsposten im Haushalt –, wir müssten noch mehr Gebäude still legen und bräuchten dafür abermals Personal. Das Ende vom Lied wäre die heilige katholische Immobilienresteverwaltung. Schon als Hoffmann-Broy von neuen Stellen zur Beratung und Unterstützung der Dekanate/Gemeinden sprach, bekam er vernehmliche Buh-Rufe aus dem Saal zur Antwort.
Was also tun?
Den einen wäre zu raten: die Ehrenamtlichen als unverzichtbare und rare Kostbarkeiten behandeln. Ihnen möglichst freie Hand lassen, die schweren Aufgaben mit Rechten ausbalancieren. (Wenn sich die Erzdiözese sonst noch nützlich machen will, könnte sie mit der Staatsregierung Freiheiten vom Denkmalschutz aushandeln.)
In den ersten Gesprächen hat sich ansonsten das Nachfolgende abgezeichnet. Schuldenaufnehmen ist ausgeschlossen; das hieße quasi, die Täuflinge für den Kirchturm zu verpfänden. Neue Kirchenmitglieder gewinnen (und damit Kirchensteuerzahler) ist keine absehbare Lösung. Ich würde mich das derzeit fast nicht getrauen; das Risiko, selbst vom Kirchenaustritt überzeugt zu werden, ist mir zu groß. Kirchensteuer erhöhen? Lieber nicht. Sonst wie Mittel auftun, Stellschrauben drehen und tricksen, damit irgendwie mehr Geld für den Gebäudeunterhalt vor Ort bleibt? Das dürfte hinten und vorne nicht ausreichen. Von dem, was allein der Gerüstbau für eine Turmrenovierung kostet, kannst du eine neue Orgel anschaffen. Unterm Strich ist es wie bei jeder Infrastruktur schlicht so, dass die Unterhalts- und Folgekosten von Bauten aus fetten Zeiten in mageren Zeiten einfach nicht zu stemmen sind.
Was sich meines Erachtens tatsächlich tun lässt:
- Ruhe bewahren. Und daran denken: Ein Spiel dauert 90 Minuten, und am Ende gewinnt immer der Bischof. Das ist es, was „synodal“ bedeutet: Rauft euch ihr erst einmal zusammen. Wenn ihr den Kompromiss abgestimmt habt, entscheide ich.
- Einander ertragen. Ungerechtigkeit und Eifersucht werden beim Auswählen nicht ausbleiben. St. Emmeram ist praktisch bereits komplett saniert, jetzt reicht das Geld nicht für St. Vitus. Welches der Pfarrheime kann Pfarrheim bleiben? Bei alledem Nächste und Nachbarn, Christin und Christ zu bleiben, wird uns nicht leichtfallen.
- Standhaft bleiben und nicht automatisch alles mitmachen. Ehrenamtliche sind keine Weisungsempfänger. Wo die Wahl keine ist, sondern Auftrag, dürfen wir sagen: Dann mach’s bitte selbst, und übernimm dann auch du die Verantwortung.
- Jesus folgen. Verwertungslogik ist kein Auftrag des Evangeliums. Sondern verkaufen und den Armen geben (Mt 19,21; Mk 10,21; Lk 18,22). In den Kirchen stecken Sozialwohnungen ebenso wie City-Lofts. Und tatsächlich wüsste ich auf Anhieb keinen Auftrag Jesu, für den wir Immobilien bräuchten.
Florian Eichberger
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