Reden über Gott und die Welt

Krippe und Kreuz gehören zusammen

Pfarrer Peter Demmelmair, der aus Bad Tölz angereist war, ist ein ausgewiesener Kenner von Darstellungen der Weihnachtsgeschichte, ein kluger Lateiner, guter Erklärer und beigeisternder Redner – und vor allem ein sehr umsichtiger Bildbetrachter. Am 10. Dezember führte er im Schwaberinger Pfarrheim mit dem Billard-Queue in der Hand schwungvoll durch die Bildgeschichte der Geburtsszene, von Ochs und Esel bis zum versteckten Kreuzesholz.

Pfarrer Peter Demmelmair als Bildzeiger mit Billard-Queue in Schwabering
Pfarrer Peter Demmelmair als Bildzeiger mit Billard-Queue

Ein Weniges aus diesem überreichen Abend versucht das Folgende nachzuvollziehen. Es hat neben dem Mangel der Unvollständigkeit gegenüber dem lebendigen Vortrag Demmelmairs, der in Zusammenhängen lebt und spricht, auch den Nachteil eines kaum bebilderten, dafür überlangen Merkzettels. Demmelmair warf seinen Zuhörern aber nicht Mehrwissen um den Kopf, sondern reichte uns nach und nach, in großer zeitlicher Ordnung, die Mittel in die Hand, mit denen wir selbst jedes Weihnachtsbild und jeden Krippenstall auf nun besser Verstandenes hin untersuchen können, von frühen byzantinischen Darstellungen bis ins 18. Jahrhundert.

Insgesamt gibt die kanonische Bibel erstaunlich wenig abbildbare Hinweise. Wichtigster Bildgeber ist hier das Lukasevangelium,* das die Krippe nennt, aber vor allem das Parallelgeschehen um die Hirten auf dem Feld, mit dem Engel des Herrn und den himmlischen Heerscharen. Ochs und Esel dagegen, die zum ältesten und konstanten „Inventar“ der Geburtsdarstellung gehören, gehen auf Jes 1,3 zurück: „Der Ochse kennt seinen Besitzer / und der Esel die Krippe seines Herrn.“ Zeichenhaft steht der Ochse, dem man das Joch auflegt, für das jüdische Volk, das die Last des Gesetzes trägt, der Esel für die Heidenvölker. Insgesamt sind aber zwei andere Quellen von weitaus größerer Bedeutung: zuerst das Protoevangelium des Jakobus (2. Jh.) und später die Visionen der hl. Birgitta von Schweden (14. Jh.).

Duccio di Buoninsegna: Geburt Christi
Duccio di Buoninsegna: Geburt Christi, 1308–1311 (Bild: Directmedia Publishing – Wikimedia Commons)

Das Protoevangelium des Jakobus prägt die Szene in Bethlehem als Höhle oder Grotte, führt Josef als alten Mann ein, der von Zweifeln geplagt ist, und berichtet von den beiden Hebammen, vor allem von Salome, der die Hand verdorrt, mit der sie misstrauisch die Jungfräulichkeit Mariens prüfen wollte; Heilung erfährt sie erst durch das Jesuskind. Die Höhle wiederum nutzen die bildlichen Darstellungen, um vielfältige Bezüge herzustellen; als „unbehauene“ Naturarchitektur verweist sie auf die jungfräuliche Geburt, doch hat sie meist auch vorausweisende Merkmale: dann trägt sie bereits Züge der Grablege Christi, verstärkt durch die Fatschen/Grabtücher oder die Gestalt der Krippe als Sarkophag. Demmelmair betonte daher zu Recht, dass Weihnachtsbilder immer auch theologisches Programm sind. Und er zeigte das mit einem echten Augenöffner: „Krippe und Kreuz gehören zusammen.“ Praktisch jedes Geburtsbild zeigt irgendwo das Kreuzesholz, ob als Stallpfosten im Vordergrund oder als Baum auf einem Hügel im Hintergrund. Die Höhle steht aber auch am Anfang des Krippenspiels: Franz von Assisi – „Franziskus war ein Höhlentyp“ (Demmelmair) – stellte in der Grotte von Greccio 1223 erstmals das Weihnachtsgeschehen als lebende Krippe dar.

Die Visionen der hl. Birgitta von Schweden waren eine Steilvorlage für die Kunst ihrer Zeit und verbreiteten sich in Windeseile:

Meister Francke: Thomasaltar, Geburt Christi
Meister Francke: Thomas-Altar, Geburt Christi, ca. 1424 (Bild: Directmedia – Wikimedia Commons)

„Die Jungfrau nahm die Schuhe von ihren Füßen, zog den weißen Mantel aus, den sie trug, zog den Schleier vom Kopf ab und legte das Kleidungsstück neben sich. So hatte sie nur das Kleid an, und ihr wunderbares, goldglänzendes Haar war über die Schulter gebreitet. […]

Als alles in Ordnung war, fiel die Jungfrau ehrfurchtsvoll auf die Knie, um zu beten, wobei sie den Rücken gegen die Wiege drehte, aber das Haupt zum Himmel erhob, in östlicher Richtung. Mit erhobenen Händen und den Blick gen Himmel gerichtet, stand sie wie in Betrachtung und Verzückung da, berauscht von göttlicher Lieblichkeit. Aber als sie so im Gebet versunken war, sah ich, wie das Kind sich im Mutterschoß bewegte, und in derselben Zeit, ja in einem Augenblick, gebar sie ihren Sohn, von dem ein so unsagbarer Strahlenglanz ausging, dass die Sonne nicht damit zu vergleichen war.

Das Wachslicht, das der alte Mann [nämlich Josef] dorthin gesetzt hatte, verbreitete keinen Schein, denn der göttliche Strahlenglanz verdrängte ganz den Schein des Wachslichtes. Und so schnell und augenblicklich erfolgte diese Geburt, dass ich nicht beobachten oder unterscheiden konnte, wie die Jungfrau gebar. Ich sah aber gleich das ehrenreiche Kind nackt und klar leuchtend auf dem Boden liegen.“ (7. Buch, 21. Kapitel)

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Rogier van der Weyden: Bladelin-Altar, ca. 1445–1450 (Bild: Web Gallery of Art – Wikimedia Commons)

Seitdem sehen wir Maria, die bis dahin oft als Liegende dargestellt war, mit offenem blondem Haar, das Kind anbetend, das direkt auf der Erde liegt. Auch die Figur des Josef hat sich gewandelt. Zu seinen Rollen als Zweifler – „der Zweifel führt meistens tiefer in die Wahrheit hinein“ (Demmelmair) –, als Fürsorger und Kümmerer ist nun die des Kerzenhalters hinzugekommen. Das unvergleichlich hellere, andere Licht des Jesuskinds wird dann die Frühe Neuzeit aufgreifen, die es mit großer Kunst in den staunenden Gesichtern der die Krippe Umstehenden malt. Eine erzählnotwendige Folge des Hell-Dunkel-Kontrasts ist wiederum, dass das Weihnachtsgeschehen dann in die Nachtstunden verlegt wird. Zugleich entfaltet die Renaissance, die durch die Zentralperspektive sehr viel Verschiedenes in einen Blickzusammenhang legen kann, den Hintergrund in vielfältige Details aus und eröffnet damit bildlich eine neue Zeit, eine neue Welt, die mit der Jesusgeburt beginnt. Aus der Höhle, die man mitunter noch als Bildrest in der Bodenstruktur ausmachen kann, ist zu dieser Zeit regelmäßig ein halb verfallenes Stallgebäude geworden, das zeichenhaft für das erneuerungsbedürftige Haus Israel steht.

Nur ein Wort noch zu den heiligen drei Königen, den „Magoi“ aus dem Osten (Mt 2,1) mit ihren Gaben: Auch diese Textvorlage wird regelmäßig mit weiterer Bedeutung aufgeladen, etwa als Allegorie der Lebensalter: ein alter Graubart, ein bärtiger Mann und ein bartloser Jüngling – wobei sich zeigt, dass das Alter dem Jesuskind stets am nächsten ist, die modische Jugend steht am weitesten entfernt. Eine andere Variante ist uns vertrauter, nämlich die Darstellung als Vertreter der (damals bekannten) Erdteile Europa, Asien, Afrika: alle Welt kommt, zu huldigen. Von daher muss einer der Magoi natürlich ein Mohr sein. – Man wird dabei bedenken, dass die Anbetung durch die drei Weisen eigentlich ein der Geburt nachgelagertes Geschehen zeigt, das die Bilder oft zeitlich zusammenziehen, so wie sie das Parallelgeschehen der Hirten auf dem Felde räumlich in eins fassen.

Wie Peter Demmelmair mit uns durch die Bilder spazierte und wie er mit dem Billard-Queue deutete, der ihm als Dia-Zeigestock flugs aus dem Jugendraum organisiert wurde, ist schwer mit Worten zu sagen. Noch die Rankenpflanzen an der Stallmauer weiß Demmelmair aus dem Ärmel zu identifizieren und in seiner bildsprachlich-theologischen Dimension auszuleuchten. Und vom Krippenspiel des hl. Franziskus verweist er rasch auf den Ordensgründer Dominikus und die hl. Elisabeth von Thüringen, die zu Zeiten, als die Kirche am mächtigsten war, das Glaubenswerk wieder ganz unten ansetzten und die sinnliche Erfahrung aufwerteten. – Vielleicht versteht man einen großen Reiz dieses Vortragsabends, wenn man sich vor Augen hält, dass sich die Rollen umkehrten: Demmelmair ist in der weihnachtlichen Kunst so zu Hause, dass sich auch Kurt Kantner, der Gastgeber und Organisator der Reihe „Reden über Gott und die Welt“, gerne als Gast herumführen ließ. Wir danken beiden ganz herzlich, dass wir zu diesem wahrhaft erhellenden Abend in Schwabering ebenfalls eingeladen waren.

Florian Eichberger


* Insofern passte der Vortrag, wie Demmelmair betonte, gut an den Anfang dieses Kirchenjahrs, das sich als Lesejahr C das Lukasevangelium vornimmt, das wiederum gut zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit passt. Denn das Lukasevangelium ist das „Evangelium der Barmherzigkeit“, das uns die meisten Gleichnisse der Barmherzigkeit überliefert: den barmherzigen Samariter, den verlorenen Sohn etc. Auch wird der Evangelist Lukas, seiner bildstarken Sprache wegen, oft selbst als Maler dargestellt.

Veröffentlicht in alle, Pfarrverband, Schwabering.

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