Silvesterpredigt 2013

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

in den letzten Wochen haben wir in den Bußgottesdiensten aber auch in den weihnachtlichen Predigten immer wieder von Sternstunden gehört.

Sternstunden, als Augenblicke in denen Gottes Ewigkeit, seine Liebe, seine Größe durchstrahlt durch unseren Alltag. Augenblicke, die besonders sind, weil sie uns berühren und vielleicht sogar verändern. Augenblicke, die wir nicht so schnell vergessen, weil sie uns persönlich betreffen.

Weihnachten – als die Sternstunde der Menschheit – Gott wird Mensch für uns.

Das Jahr 2013 geht zu Ende. Ich weiß nicht, wie das bei euch ist – aber ich lese gen Jahresende immer gerne die Silvesterausgabe des Spiegel-Magazins mit dem großen Jahresrückblick. Ich finde es interessant noch einmal zu erfahren, was in diesem Jahr alles war. Man vergisst es ja allzu schnell.

Viele Themen haben uns 2013 beschäftigt. Der NSU-Prozess in München, die NSA-Abhöraffäre, die große Überschwemmung weiter Teile unseres Landes, die Bundestags- und Landtagswahl, die Diskussionen über den Koalitionsvertrag, der Rücktritt Papst Benedikts und die Wahl unseres neuen Papstes Franziskus, die Ausgaben des Limburger Bischofs Tebarz van Elst, die Drohnenaffäre des Bundesverteidigungsministers Thomas de Maizière, der Tod Nelson Mandelas, der Anschlag auf den Boston-Marathon, die Enthüllungen Edward Snowdens, der Rundumsieg des FC Bayern München und die Steuersünden seines Präsidenten, Proteste in der Türkei, der Krieg in Syrien, der Tod der Flüchtlinge vor der italienischen Küste bei Lampedusa, die Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, der Sparkurs in Griechenland.

Für all das gibt es hier keine bestimmte Gewichtung oder Reihenfolge. Es sind die Dinge, die ich frei aus dem Gedächtnis aufgeschrieben habe, um noch einmal zu zeigen, was alles los war. Kaum etwas davon hat uns persönlich betroffen. Es hat uns höchstens betroffen gemacht. Kaum etwas davon hat mit meinem Leben direkt zu tun, beeinträchtigt es, verändert es. Aber dennoch kann ich mich darüber aufregen, kann darüber zornig werden und kann stundenlang darüber diskutieren.

Für den ein oder anderen mögen darunter auch Sternstunden gewesen sein. Für jeden von uns mag es in diesem Jahr auch eine persönliche Sternstunde gegeben haben, die in dieser Aufzählung nicht vorkommt und die niemals für die Allgemeinheit wichtig genug sein wird, um im Spiegel eine Aufnahme zu finden. Warum? Weil diese Sternstunden uns persönlich betreffen, weil sie direkt mit unserem Leben zu tun haben. Es sind meist persönliche Begegnungen, Ereignisse, Momente, die sich einem tief in Herz einprägen, Momente, die wichtiger sind als jede Zeitungsschlagzeile. Und oft sind es ganz kleine Sachen, nur Augenblicke und schon wieder verflogen. Aber aus ihnen ziehen wir Kraft und Zuversicht.

Für mich persönlich war eine dieser Sternstunden dieses Jahr bei einer Taufe. Kurz bevor ich dem Kind das Wasser über den Kopf schütten wollte, hat es die Augen aufgemacht und mich ganz ernst angeschaut, als wollte es sagen: „Überlege genau, was du da tust!“ Und nach der Taufe hat es mich angelächelt, um dann wieder seelenruhig weiter zu schlafen, als wollte es sagen: „Das passt schon so!“ Da wurde mir wieder einmal deutlich, dass Gott mit uns noch nicht fertig ist, dass er immer noch Überraschungen für uns bereithält.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wir haben hier in der Kirche Taufen gefeiert, Hochzeiten, Beerdigungen, Rosenkränze, Andachten, Anbetung, Vereinsfeiern, Jahresgedenken, Wortgottesfeiern und Messen. Wir haben unzählige Male diesen Raum hier mit Leben erfüllt, mit Gesang, mit Gebet, mit Kerzenschein und mit Weihrauch. Es ist hier geweint, gelacht und nachgedacht worden. Diese Kirche war und ist in diesem Jahr ein Mittelpunkt unserer Gemeinde. Und vielleicht war auch für den ein oder anderen von euch eine Sternstunde mit dabei. Das würde mich freuen: nicht weil es bedeuten würde, dass wir als Seelsorgepersonal etwas richtig gemacht haben, sondern weil hier ein besonderer Ort der Gottesbegegnung sein soll. Es ist dies der Ort, an dem Gott uns eine Zusage macht, wie in der Lesung. Eine Zusage, die ich euch für das neue Jahr mitgeben will: „Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst. Ich verlasse dich nicht.“ Diese Zusage Gottes an den Stammvater Jakob in der Lesung gilt auch für uns, gerade am heutigen Tag. Gerade jetzt, da wir an der Schwelle zu einem neuen Jahr stehen. Wenn wir für seine Gegenwart offenbleiben, für sein Wirken in unserem Leben, ja für seine Botschaft des Lebens, dann dürfen wir immer wieder diese Sternstunden erleben: Sternstunden der Ruhe, der Gelassenheit, der Begegnung, der Sicherheit, des Geliebtwerdens, des Akzeptiertseins.

„Ich sehe den Himmel offen!“ Lautet das neue Jahresthema unseres Pfarrverbandes. Daher gilt auch uns die Zusage Jesu: „Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen über den Menschensohn!“

Bereiten wir uns darauf vor. Denn es ist kein leeres Versprechen, sondern ein Ereignis. Und wenn es geschieht, dann werden wir darüber vielleicht nicht im Spiegel lesen oder im OVB, aber wir werden es in unserem Herzen lesen können, wir werden uns daran erinnern, weil es mit uns zu tun hat.

Das wünsche ich euch, das wünsche ich uns für das neue Jahr.

Amen

Tobias Hartmann

Veröffentlicht in Glauben.